Retroshare, das Netz für echte Freunde

Retroshare macht die Kollaboration und Kommunikation im Internet sehr viel sicherer.
Tin Lizzy in Montevideo

Die P2P-Revolution rollt

Wenn man sich nach Kommunikationsmöglichkeiten umschaut, die Vertraulichkeit garantieren, so findet man schnell ein Dutzend Programme, die eine Lösung versprechen. Die Website prism-break.org, die nach den Enthüllungen von Edward Snowden eingerichtet worden ist, listet zahlreiche Programme auf. Man kann davon ausgehen, dass sich noch sehr viel mehr innovative Lösungen in der Entwicklung befinden, die hier nicht aufgeführt sind. Dezentrale Netzwerke, Verschlüsselung, Anonymität, Peer-to-Peer – diese Stichworte haben zurzeit Hochkonjunktur. Die P2P-Revolution hat begonnen.

Gibt es zu viele Alternativen?

Die Vielzahl der alternativen Projekte scheint einer der Gründe dafür zu sein, dass sich noch nicht so recht herauskristallisiert, wohin die Reise geht. Schon der Aufbau der Seite prism-break.org macht deutlich, dass es für jede Programmkategorie eine ganze Gruppe von verschiedenen Alternativen gibt. So gibt es allein fürs Instant Messaging 16 Alternativprogramme. Als Ersatz für Facebook und Twitter werden sechs Social-Network-Systeme aufgeführt. Ebenfalls sechs Alternativen gibt es für Dropbox. Genauso unübersichtlich ist die Lage bei Programmen, die einen vertraulichen E-Mail-Austausch gewährleisten. Wer also nach Alternativen sucht, muss sich durch einen Dschungel von Lösungen quälen. Sobald man weitere Listen zu Rate zieht, wird der Dschungel noch dichter.

Bei jeder aufgeführten Alternative ist zudem die Zahl der Benutzer wesentlich geringer als bei den Programmen, die man ersetzen will. Während eine Milliarde Menschen auf Facebook aktiv sind, sind es auf Diaspora gerade einmal ein paar Hunderttausend. Wenn aber keiner meiner Freunde das Programm X benutzt, ist es für mich mehr oder weniger wertlos. Dies gilt besonders für Kommunikationsprogramme, denn Kommunikation lebt vom Austausch. Es braucht nicht nur zwei für einen Tango, auch zum Chatten braucht man ein Gegenüber.

An den Nutzerzahlen wird sich kurzfristig nicht viel ändern. Und da man heute noch nicht voraussehen kann, welche Projekt sich einmal durchsetzen wird, sollte man bei der Auswahl einer Alternativen etwas anderes im Blick haben. Gibt es auf der Liste von prism-break.org ein Programm, das mehr als nur ein Problem löst? Würde es vielleicht ausreichen, ein besonders vielseitiges Programm zu installieren, mit dem ich nicht nur Chatten kann, sondern zum Beispiel auch Dateien austauschen kann? Kann ich mir so ersparen, die Bedienung von mehreren Programmen neu lernen zu müssen? – Ja, das ist möglich!

Eine Alternative für alles: Retroshare

Auf der Liste von prism-break.org taucht ein Programm in recht vielen Kategorien auf. Retroshare wird in den Kategorien Email Alternatives, Social Networks und Instant Messaging aufgeführt. Wenn man sich das Programm genauer anschaut, so erkennt man, dass es noch viel mehr leistet.

Auf der Homepage von Retroshare werden diese Funktionen aufgelistet:

  1. Chat
  2. Video-Telefonie
  3. E-Mail
  4. File-Sharing
  5. Forum
  6. Linksammlung à la Reddit
  7. Distributionskanäle für digitale Inhalte

Schauen wir uns die einzelnen Funktionen einmal genauer an.

Beim Chat können wir uns sowohl mit einzelnen als auch mit mehreren Personen in einem Chatraum unterhalten. Die Video-Telefonie funktioniert ähnlich wie Skype. Die Mail-Funktion wird genau so bedient wie man es von anderen E-Mail-Programmen her kennt, lediglich um die Verschlüsselung braucht man sich im Einzelnen nicht zu kümmern, da alle Nachrichten grundsätzlich verschlüsselt werden. Das Teilen von Dateien kennen wir von Dropbox. Foren, in denen thematisch geordnet diskutiert wird, kennen auch die meisten Internetbenutzer. Und wie man Links teilt und gegenseitig kommentiert und bewertet, haben wir auf Reddit gelernt. Nur die Distributionskanäle für digitale Inhalte erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Kanäle funktionen folgendermaßen. Man eröffnet einen Kanal zum Beispiel für Cat-Content, der von Freunden und Bekannten abonniert werden kann. Sobald man ein neues Foto oder ein neues Video in den Kanal hochgeladen hat, können die Freunde die Datei sehen und herunterladen.

Gemeinsam in den Untergrund

Die Installation von Retroshare ist trivial. Runterladen, starten, Konto einrichten, fertig.

}Kontoeinrichtung nach dem ersten Start von Retroshare
}Kontoeinrichtung nach dem ersten Start von Retroshare

Danach öffnet sich eine Benutzeroberfläche, die in vielen Teilen selbsterklärend ist. Das E-Mail-Interface dürfte jedem Nutzer von Thunderbird bekannt vorkommen.

E-Mail in Retroshare
E-Mail in Retroshare

Doch dann kommt die Enttäuschung. In Retroshare ist man zunächst völlig allein. Es gibt niemanden, mit dem man chatten oder eine E-Mail austauschen könnte. Das liegt daran, dass Retroshare eine direkte Verbindung zu anderen Rechnern aufbaut. Retroshare ist ein echtes Friend-to-Friend-Netzwerk, bei dem man Zertifikate austauschen muss, um mit anderen Personen in Kontakt treten zu können.

Wer Retroshare ausprobieren möchte, sollte also mindestens einen Freund davon überzeugen, mit ihm in den Untergrund zu gehen. Ideal ist es, wenn eine Gruppe aus fünf bis sechs Personen, die gemeinsame Interessen haben, mit Retroshare ein abhörsicheres Privat-Netz erstellt.

Da man auch Kontakt zu den Freunden von seinen Freunden aufnehmen kann, ist es möglich, dass das Netz, in dem man sich befindet, schneller anwächst, als man denkt. Jedenfalls hatten die Entwickler ein solches aus lauter Freundes-Knoten aufgebauten Netzes vor Augen, als sie Retroshare schufen. Allerdings sind auch andere Nutzungen möglich.

Private Enterprise Communication Network

Retroshare ist auch ein privates Unternehmensnetz zur vertraulichen Kommunikation. Denn Unternehmen, die mit ihren Mitarbeitern innerhalb und außerhalb des Firmennetzes vertraulich kommunizieren möchten, ohne dass die NSA sofort von dem neuen innovativen Produkt in ihrer Pipeline erfährt, könnten Retroshare von heute auf morgen nutzen, um sich ein vertrauliches Netz zu schaffen, das ihnen sofort und ohne großen Installations- und Konfigurationsaufwand eine sichere Kommunikation erlaubt.

Warum tun sie es nicht? Weil Retroshare als Hacker-Tool gilt, in dem Nerds mit Hoddie und Sonnenbrille Katzenbilder tauschen. Man braucht nur einen Fork von dem Programm machen, ihm einen coolen Namen verpassen, eine schicke Website aufsetzen und fertig ist die Geschäftsidee.

Mit den oben aufgeführten Funktionen bietet Retroshare verteilten Arbeitsgruppen einen praktischen Arbeitsplatz für eine vertrauliche Kommunikation. Sie müssten nur einmal über den Tellerrand ihrer sündhaft teuren Netzwerklösungen hinausschauen.