Self-Publishing-Tipps: Typesetting rulez!

Seit 1988 schreibe ich meine Texte mit Hilfe eines Computers. Das sind 25 Jahre Erfahrung auf den unterschiedlichsten Betriebssystemen. In der Artikelserie ›Self-Publishing-Tipps‹ empfehle ich nicht die neuesten und coolsten Programme. Hier werden ein paar Weisheiten geteilt, die sich in einem Vierteljahrhundert angesammelt haben. In der zweiten Folge geht es um das Setzen von Texten.

tl:dr

Wer als Self-Publisher ein Buch produzieren will, steht plötzlich vor einer Aufgabe, für die man früher eine mehrjährige Lehre absolvieren musste. Schriftsetzer war einmal ein geachteter Ausbildungsberuf.

Die Textverarbeitungsprogramme, allen voran die Plage aus Redmond, haben einem Beruf, in dem sich Kunst und Handwerk vereinigten, den Gar ausgemacht. Schriftsetzer wurden überflüssig, obwohl die Textverarbeitungsprogramme den Schriftsetzer keineswegs ersetzten. Sie haben aus Laien keine Typographen gemacht. Sie haben bloß Mist hoffähig gemacht. Sie haben das Niveau gesenkt. Viele Benutzer einer Textverarbeitung denken, dass sie bloß den Blocksatz aktivieren müssten, um wie gedruckt zu schreiben.

Es ist ein Missverständnis, dass man mit einer Textverarbeitung eine ästhetisch ansprechende Druckvorlage für seine Bücher erstellen kann. Das ist aber nicht das einzige Missverständnis. Eins weiteres betriff die DTP-Programme, die in den 90er Jahren zunächst in den Werbeagenturen ihren Siegeszug antraten und nun auch auf so manchem Privatrechner zu finden sind. Es gibt Leute, die glauben, dass man mit einem DTP-Programm ein Buch setzen könnte. Das ist zwar richtig. Man kann das tun. Aber will man das auch? DTP-Programme dienen dazu, Broschüren, Magazine und andere Druckwerke mit hohem Bildanteil und abwechslungsreichem Textsatz zu gestalten. Es macht viel zu viel Arbeit, mit diesen Programmen ein Buch von einhundert und mehr Seiten zu setzen, das nur aus Fließtext besteht. Das ist Buch- oder Mengensatz. Und dafür gibt es spezielle Programme.

Wer das beste Satzprogramm für Self Publisher sucht, wird bei Google übrigens sehr schnell fündig. Denn wenn man ›typesetting‹ und ›computer‹ eingibt, schlägt Google an dritter Stelle den Begriff ›latex‹ vor. Das ist ein Programm, das auf dem Satzprogramm TeX aufbaut. Und den Namen des Erfinders von TeX, Donald E. Knuth, findet man auch gleich an der vierten Stelle der Suchvorschläge.

Die automatischen Suchbegriffsvorschläge von Google führen schnell zum Ziel.

Donald E. Knuth (geb. 1938) ist Informatiker, emeritierter Professor an der Stanford University, Autor des Standardwerks The Art of Computer Programming und Urvater des Textsatzsystems TeX. Knuth begann 1977 mit der Entwicklung von TeX. Seit 1986 gilt die Software als fertiggestellt, es werden nur noch Fehler korrigiert. Die Versionsnummer von TeX lautet 3.1415926. Bei Mathematikern klingelt es jetzt. Richtig! Wenn TeX vollkommen und perfekt ist, wird die Versionsnummer mit der Zahl Pi übereinstimmen.

Populär wurde TeX durch das Macropaket LaTeX, das die Bedienung drastisch vereinfachte. LaTeX ist im wissenschaftlichen Umfeld sehr beliebt, weil es den gesamten wissenschaftlichen Apparat unterstützt.  Wissenschaftliche Verlage wie Springer und technische Verlage wie Addison-Wesley nutzen LaTeX für den Buchdruck.

Ich persönlich lernte LaTeX schon sehr früh kenne, als mir ein Freund das Programm auf meinem ersten eigenen Rechner, einem Atari 1040ST, installierte. Ich schrieb damit meine Magisterarbeit.

Eine LaTeX-Datei ist eine Plain-Text-Datei, in der sich neben dem eigentlichen Text auch Steuerbefehle befinden. Hier ist ein kurzes Beispiel aus meinem Buch ›Die Wahrheit des Sehens‹

\chapter{Einleitung}

\label{cha:einleitung}

\index{Ein kurzer Film über das Töten (Krótki film o zabijaniu, 1988\)}

Siebeneinhalb Minuten müssen die Zuschauer im Kino
zusehen, wie ein junger Mann einen Taxifahrer ermordet.
  1. Der Befehl \chapter erzeugt eine Kapitelüberschrift. Das typografische Aussehen einer Kapitelüberschrift wird an anderer Stelle festgelegt. Der Benutzer muss sich darum nicht kümmern.

  2. Der Befehl \label setzt eine Markierung, auf die an anderer Stelle verwiesen werden kann.

  3. Der Befehl \index erzeugt einen Eintrag im Index.

  4. Der anschließende Fließtext wird typografisch ansprechend als Blocksatz formatiert.

Diese Quelldatei muss in ein grafisches Ausgabeformat übersetzt werden. Das ist heutzutage in der Regel PDF. Der Vorgang ähnelt ein wenig dem Übersetzen von Quellcode in Maschinensprache. Während dieser Übersetzung berechnet LaTeX, wo jeder einzelne Buchstabe zu stehen hat, wo Trennungen und wo Umbrüche eingefügt werden. Das ist eine recht aufwändige Rechenoperation. Die Übersetzung meiner Magisterarbeit dauerte auf dem Atari 1990 noch über eine halbe Stunde. Auf einem aktuellen Rechner ist das heute in wenigen Sekunden erledigt.

Das Ergebnis

Auf den ersten Blick wirken die Befehle von LaTeX vielleicht abschreckend. »Ich bin Schriftsteller und kein Programmierer!«, werden jetzt einige rufen. Aber man gewöhnt sich sehr schnell daran. Es gibt zahlreiche Programme, die das Erstellen eines Textes mit LaTeX erleichtern. In vielen Texteditoren sind kleine Helferlein eingebaut, die LaTeX unterstützen. Hier ist vor allem AUCTeX für Emacs zu nennen. Und mit LyX steht eine Schreibumgebung zur Verfügung, deren Bedienung der einer Textverarbeitung ähnelt, sodass man mit den LaTeX-Befehlen kaum in Berührung kommt.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Trennung zwischen Quelltext und Ausgabedatei den Schreibprozess unterstützen kann. Während der Eingabe sieht der Text ganz anders aus als später beim Ausdrucken. Diese ästhetische Irritation oder Verfremdung schafft scheinbar eine gewisse kritische Distanz zum Text. Fehler, die man im Quelltext übersehen hat, findet man im perfekt gesetzten Ausdruck. Und umgekehrt.

Durch die Trennung von Eingabe und Ausgabe ist das System auch nahezu beliebig skalierbar. Ein langsames System wie mein Atari brach nicht unter der Last zusammen, sondern rechnete einfach etwas länger. Mit LaTeX ein Buch mit 1500 Seiten zu setzen, ist überhaupt kein Problem.

Wenn LaTeX die Quelldatei übersetzt, werden Fehler protokolliert. Man muss also die Stellen, wo Fehler auftreten, nicht mühsam selbst suchen. Unter einem Fehler verstehe ich hier eine Stelle, an der LaTeX keine Möglichkeit gefunden hat, sauber zu setzen. Eine Zeile kann beispielsweise zu lang oder zu kurz sein, weil LaTeX keine Stelle zum Trennen eines Wortes findet. Man kann dann vom Fehlerprotokoll zu der entsprechenden Stelle im Quellcode springen und LaTeX manuell auf die Sprünge helfen.

1990 war LaTeX für mich die einzige Möglichkeit, ein ästhetisch anspruchsvolles Ergebnis abzuliefern, weil der Atari ansonsten nur mit Festbreitenschriften arbeitete, die schlimmer aussahen als die Schrift meiner Schreibmaschine. Heute ist man dank der proportionalen Schriften mit dem Ergebnis der Textverarbeitungsprogramme oft schnell zufrieden. Aber im Detail zeigen sich die Unterschiede. Am auffälligsten ist die Behandlung von Abbildungen und Tabellen in LaTeX. Sie werden als Fließobjekte betrachtet, die dorthin fließen, wo Platz für sie ist. Dadurch wird auf jeder Seite eine gleichmäßige Zeilenzahl und ein gleichmäßiger Seitenabschluss gewährleistet. Wenn dagegen in einer Textverarbeitung für eine Abbildung unten auf einer Seite kein Platz mehr ist, wird einfach ein Seitenumbruch eingefügt, sodass der Text auf der Seite vorzeitig abbricht. Die Abbildung erscheint auf der nächsten Seite. Bei LaTeX läuft der Text gleichmäßig durch. Die Abbildung wird dort positioniert, wo der optimale Platz für sie ist.

DTP-Programme sind kein Ersatz. Wer wie ich jeden Tag mit Grafikern zusammenarbeitet, weiß, dass diese Menschen nichts so sehr hassen wie nachträgliche Änderungen im Text. Dann müssen sie nämlich mit der Hand Tabellen, Abbildungen und Seitenumbrüche verschieben, damit alles wieder passt. LaTeX macht das automatisch.

LaTeX unterstützt, wie oben bereits angedeutet, den gesamten wissenschaftlichen Apparat (Inhaltsverzeichnisse für Tabellen, Abbildungen und Kapitel, Fußnoten, Literaturverzeichnisse (BibTeX), Indices, Glossare). Wer wissenschaftliche Werke publizieren möchte, kommt als Self-Publisher um LaTeX eigentlich nicht herum.

Aber auch für belletristische Werke ist LaTeX geeignet. Das ist sogar besonders einfach, weil ein Roman praktisch nur aus Fließtext besteht. Da kommt man mit einer Handvoll LaTeX-Befehlen aus.

Mit LaTeX erschlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe.

  1. Man erhält mühelos ein perfekt gesetztes Buch.

  2. Man arbeitet durchgehend mit dem Textformat ›Plain Text‹,dessen Vorteile ich bereits im letzten Artikel erklärt habe