Werbemittel mit ConTeXt gestalten (Teil 1)

Wann ist es sinnvoll, das Satzprogramm TeX zur Gestaltung von Werbemitteln einzusetzen? In einer kleinen Artikelserie wird dies am Beispiel verschiedener Printprodukte diskutiert.
Faltblätter der Hostsharing eG im DIN-lang-Format

Zusammenfassung

  • TeX/LaTeX wird gerne für den Satz von Büchern und wissenschaftlichen Aufsätzen benutzt.
  • Bei der Gestaltung von Werbemitteln haben sich jedoch DTP-Programme mit interaktiver GUI durchgesetzt.
  • Die programmatische Gestaltung von Werbemitteln hat für technisch versierte Communities interessante Vorteile.

Auch 42 Jahre nach seiner Geburt ist TeX als Satzprogramm aus der Welt des Desktop Publishings nicht mehr wegzudenken.1 TeX ist jedoch in all den Jahren immer ein Programm für den Mengensatz geblieben. Beim Akzidenzsatz konnte TeX nie glänzen. Ab und zu wird das Programm für ein wissenschaftliches Konferenz-Poster benutzt. Wenn es aber darum geht, echte Werbemittel wie Flyer oder Plakate zu gestalten, greift kaum jemand zu TeX. Hier beherrscht mittlerweile Adobe mit seinem Indesign-Monopol das Feld. Wer ein freies Gestaltungsprogramm einsetzen möchte, wird zu Scribus greifen, einem DTP-Programm, das über eine grafische Benutzeroberfläche interaktiv bedient wird. Denn beim Akzidenzsatz ist die schnelle optische Rückmeldung nützlich.

Die programmatische Gestaltung von Werbemitteln hat aber in bestimmten Situationen viele Vorteile. Deshalb wäre es wünschenswert, ein Tool zur Hand zu haben, mit dem dies gelingt.

Wenn TeX dann ConTeXt!

Wenn man TeX sagt, haben die meisten Leser LaTeX vor Augen. Für dieses Softwarepaket, das die Benutzung von TeX einmal so sehr vereinfacht hat, steht ein ganzes Universum an Ergänzungen für fast alle Anwendungszwecke zur Verfügung. Trotz dieser vielen Zusatzpakete ist LaTeX jedoch überraschend unflexibel, wenn es darum geht, individuelle Layouts zu gestalten. Für DIN-lang-Flyer findet sich zwar ein Template, aber die Ergebnisse, die man damit erzielen kann, sind wenig zufriedenstellend.

Mit ConTeXt gibt es glücklicherweise eine Alternative zu LaTeX, mit der sich individuelle Layouts deutlich leichter gestalten lassen.

Vor etwas mehr als drei Jahren habe ich ConTeXt in diesem Blog bereits empfohlen. Ich nutze das Programm vor allem für den Satz meiner Bücher.

ConTeXt besitzt Auszeichnungselemente, die denen von LaTeX ähneln. Aber anders als LaTeX bietet ConTeXt einen deutlich bequemeren Weg, das Aussehen eines Druckerzeugnisses von Grund auf individuell zu gestalten. Dabei kommen Key-Value-Paare zum Einsatz wie zum Beispiel backgroundcolor=red.

Mit den folgenden zwei Befehlen wird beispielsweise ein neues Makro erstellt, mit dem man einen Text in einen farbigen Kasten setzen kann.

\defineframed [stoerer]
\setupframed[stoerer][
    framecolor=red,
    background=color,
    backgroundcolor=red,
    foregroundcolor=white,
    offset=2ex,
    framecorner=round,
    backgroundcorner=round,
    align=center,
    autowidth=no,
    ]

Der Befehl \framed erzeugt einen Standard-Textkasten. Mit \defineframed wird ein eigenes \framed-Kommando unter dem Namen stoerer für einen neuartigen Textkasten im System angemeldet. Über diesen define-Mechanismen lassen sich aus Standardbefehlen neue Befehle ableiten.

In dem zweiten Befehl (\setupframed[stoerer][...]) legen wir die Gestaltung des neuen Textkastens fest. Wir könnten auch das Aussehen des Standard-Textkastens ändern, wenn wir die Gestaltungsregeln mit setupframed[...] einstellen. Man sieht an diesem Beispiel, wie man aus Standardbefehlen beliebig viele benannte Befehle ableiten kann. Die neuen Befehle erben dabei die Eigenschaften der Standardbefehle. Im Text steht uns nun das Makro \stoerer zur Verfügung, mit dem wir einen beliebigen Text in weißer Farbe in einen roten Textkasten setzen können.

Die Key-Value-Paare erinnern ein wenig an CSS-Stildefinitionen. Man muss sich in das System einarbeiten, um seine Möglichkeiten zu entdecken und eine gewisse Übung bei der Gestaltung zu entwickeln.

Die Vorteile von ConTeXt

Das Arbeiten mit ConTeXt hat Vorteile. Sie ergeben sich aus der Tatsache, dass man das Layout mit ConTeXt auf programmatische Art und Weise aufbaut.

Programmierbares Layout

Stilvorgaben in GUI-Programmen wie Scribus verstecken sich unter zahllosen Menüs. Man muss sich jedesmal durch sie hindurchklicken, wenn man die Werte einsehen und verändern möchte. Mit ConTeXt lässt sich das Layout eines Werbemittels programmieren. Alle Abmessungen und Elemente des Grafikdesigns sind in einfachen Textdateien festgelegt. Man kann sie lesen und durchsuchen.

In einer Community von Programmierern und Entwicklern hat dies Vorteile. Das Layout lässt sich wie Code lesen.

Secahsseitiges Faltblatt mit Wickelfalz im DIN lang Format.
Secahsseitiges Faltblatt mit Wickelfalz im DIN lang Format.

Versionierbares Layout

Textdateien können problemlos versioniert werden. Das erleichtert die Kollaboration. Wenn man mit mehreren Personen zusammen an einem Scribus-Dokument arbeitet, weiß man bereits nach kurzer Zeit nicht mehr, wer wann warum welche Änderungen vorgenommen hat.

ConTeXt eignet sich daher gut für die Arbeit im Team.

Trennung von Inhalt und Form

Man kann in ConTeXt die Stilangaben in separate Dateien auslagern. Sie werden dann ähnlich wie LaTeX-Stile im Vorspann des Dokuments geladen. Inhalt und Form werden so voneinander getrennt, sodass man den Text eines Werbemittels bearbeiten kann, ohne sich um die Form kümmern zu müssen. Das Dokument mit dem eigentlichen textlichen Inhalt eines Werbemittels kann so sehr übersichtlich und einfach gestaltet sein.

Dies erleichtert die Kollaboration von Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen. Nicht jede Person, die an der Produktion mitwirkt, muss ConTeXt im Detail verstanden haben.

Die drei Innenseiten des aufgeklappten Faltblatts.
Die drei Innenseiten des aufgeklappten Faltblatts.

Durchsetzung von Gestaltungsrichtlinien

Wer schon einmal mit mehreren Grafikern zusammengearbeitet hat, weiß, wie schwer es ist, die Gestaltungsrichtlinien einer Organisation konsequent durchzusetzen. Wenn dann auch noch die verantwortlichen Personen wechseln, fängt man oft wieder bei Null an.

Nicht selten werden Corporate-Design-Vorgaben auch durch kreative Einfälle eines neu hinzugekommenen Gestalters unterlaufen und konterkariert. ConTeXt bietet hier einen gewissen Schutz, da Layoutänderungen nicht auf interaktivem Weg erfolgen, sondern Eingriffe in den Stildateien erfordern. Davor schrecken viele zurück. In einem GUI-Programm werden kreative Einfälle dagegen oft, ohne groß nachzudenken, umgesetzt. Wenn das Ergebnis nicht alle Beteiligten überzeugt, muss mühsam der Status quo ante wieder hergestellt werden. Git vergisst dagegen nichts: weder alten Code, noch den Schuldigen von Verschlimmbesserungen.

Ein weiteres Faltblatt, das sich an Agenturen und Reseller wendet. Rechts die Titelseite (Seite 1), links die Einklappseite (Seite 5) und in der Mitte die Rückseite (Seite 6)
Ein weiteres Faltblatt, das sich an Agenturen und Reseller wendet. Rechts die Titelseite (Seite 1), links die Einklappseite (Seite 5) und in der Mitte die Rückseite (Seite 6)

Wer sollte sich mit ConTeXt auseinandersetzen?

ConTeXt eignet sich nicht für Werbegrafiker, die an Werkzeuge wie Indesign gewöhnt sind und jeden Tag neue Layouts für wechselnde Kunden erstellen müssen.

Aber Organisationen, die ihre Werbemittel inhouse ohne externe Grafiker erstellen möchten, sollten ConTeXt in Erwägung ziehen, wenn die mit der Werbung beauftragten Personen

  • gewohnt sind, mit Textdateien und einem Versionssystem zu arbeiten,
  • Grundkenntnisse in LaTeX besitzen, sodass sie ungefähr wissen, was ConTeXt tut und
  • wenigstens eine Person bereit ist, ConTeXt zu erlernen.

Die programmatische Layout-Erstellung macht unabhängiger von einzelnen Personen, da die Festlegungen im wahrsten Sinne des Wortes aufgeschrieben wurden. Auch Personen ohne grafisches Geschick können die Stile lesen und in einem gewissen Rahmen bei Bedarf anpassen.

Im zweiten Teil beschreibe ich, wie wir bei Hostsharing mit ConTeXt arbeiten.


  1. Zu den Anfängen von TeX vgl. Beeton, Barbara/Berry, Karl/Walden, David: TEX: A Branch in Desktop Publishing Evolution, Part 1. In: IEEE ANNALS OF THE HISTORY OF COMPUTING. S. 20. ↩︎